Der Bündner Bergler und die blassen Ghetto-Bubis aus Bubikon mit Kapuzen und Airpods...

(Bild: zvg)
(Bild: zvg)

 

Etliche Medien berichteten in den vergangenen Tagen im profanenen Newsstil, dass die S 15 vorübergehend nicht in Pfäffikon SZ endete, sondern direkt weiterfuhr nach Chur – als Intercity-Ersatzverbindung wegen einer Baustelle in Thalwil.

 

Das «Bündner Tagblatt» war da um einiges origineller: Es liess den bekannten Historiker, Ritualgestalter und Journalisten Christian Ruch seine Eindrücke von einr überraschenden Umleitungsfahrt durchs Zürcher Oberland erzählen.

 

Sein Text erschien in der Wochenend-Ausfgabe vom Samstag (2. November 2024):

 

«Wer letztes Wochenende im Zug zu den Bleichgesichtern ins Unterland reiste, erlebte baustellenbedingt eine faustdicke Überraschung. Denn als Ziel des Intercity war nicht wie sonst Basel oder Zürich angegeben, sondern nichts weniger als Niederweningen. Falls Sie nicht wissen, wo das liegt: Das ist ungefähr da, wo die Nagra für die nächsten 32 Millionen Jahre Atommüll verbuddeln will. Was unsinnig ist, denn just hinter dem Bahnhof von Niederweningen beginnt der Aargau. Man könnte also die Fässer mit dem Abfall einfach dort abstellen, denn erstens kommt er von da und zweitens sieht den im Nebel eh niemand. Warum also ihn vergraben?

Doch zurück zum letzten Weekend: Der Zug stoppte in Pfäffikon SZ, änderte, ohne dass nicht einmal die GA-Besitzer um Zustimmung gebeten wurden, die Fahrtrichtung, mutierte zur S15 und begab sich nun passend zum Ziel Niederweningen in die Niederungen der Zürcher Agglo. Was einen Halt in Jona, Rüti, Bubi- und Wetzikon sowie Uster nach sich zog. Jona war für mich bis jetzt immer dieser Israeli im Wal oder wer das war, und spätestens ab Wetzikon fühlte man sich durchaus wie im Inneren eines Wals, denn nun herrschte eine drangvolle Enge: Da beäugten blasse Ghetto-Kids unter ihren Kapuzen misstrauisch die sonnengebräunten Bergler, die wiederum sich fragten, welche geheimnisvollen Botschaften wohl die jungen Menschen aus diesen weissen Knöpfen im Ohr empfingen. Und ob Bubikon ächt nach solchen Bubis benannt war.

Dazwischen noch vier Liechtensteiner Ladys in Shopping Mood, deren geschmackvolles Outfit sich angenehm vom Dialekt abhob, wobei die eine sich doch tatsächlich, aber in völliger Fehleinschätzung der Lage aufmachte, um das Bordrestaurant zu suchen, dies vermutlich mit dem Wunsch nach Prosecco für die Mädels. Mein Hinweis, dass sie sich nicht nur mental, sondern auch vom Wagenmaterial her in einer Zürcher S-Bahn befinde, liess ihre Gesichtszüge entgleisen, zum Glück nicht mehr. Jedenfalls trafen wir nach mehr als zwei Stunden (!) völlig verustert im Zürcher Tiefbahnhof ein, und ich möchte nicht wissen, wie viele Bündner jetzt noch zwischen Sprüngli, Subway und Sushi umherirren, weil sie weder Ausgang noch Anschlusszug finden.

Übrigens: In die Gegenrichtung war das natürlich derselbe Zirkus, aber das ist in Ordnung. Wer dem Grau entfleuchen will, darf ruhig etwas auf sich nehmen, finde ich. Und ausserdem ist das doch für Bleichländer auch mal ein tolles Abenteuer – denn wann in 177 Jahren Schweizer Bahngeschichte gab es schon mal einen direkten Zug aus Niederweningens nebligen Niederungen zu uns nach Strahlendblaubünden?


Christian Ruch»

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