Jahrhundertunwetter im Oberland – noch ganz ohne Klimakrise

Unwetterschäden in Wald (Bild: zeitgenössische Medien)
Unwetterschäden in Wald (Bild: zeitgenössische Medien)

Am 25. August 1939, kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, wurde das Zürcher Oberland vor einem wirklichen Jahrhundertunwetter heimgesucht. Damals sprach noch kein Mensch von einer Klimakrise.


Zum 70. Jahrestag des Ereignisses publizierte Karin Enzler am 19. August 2009 im «Tages-Anzeiger» folgenden Artikel, den wir hier wörtlich wiedergeben:

 

«Oberland. –Schwarze Gewitterwolken sammelten sich am 25. August 1939 über dem Bachtel und der Scheidegg. Der tosende Regen liess die Bäche anschwellen und machte sie zu reissenden Flüssen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgerissen. Die Jona, die das Wasser zahlreicher Bäche in Wald sammelt, riss an mehreren Stellen im Grundtal die Strasse weg und beschädigte den Bahnviadukt, wie in alten Zeitungen nachzulesen ist. «Wie eine Sintflut kam die Jona durchs Tannertobel», erzählt der Historiker Hugo Hungerbühler in einem Videobeitrag auf der DVD, die dem Rütner Jubiläumsbuch «Gestatten, Rüti» beiliegt. Erst im Rapperswiler Wald unten habe sich das Wasser langsam verlaufen.

 

Doch nicht nur das: Die Wassermassen schwemmten Geröll und Kies mit, das nach dem Abschwellen überall liegenblieb. Das vier Meter hohe Seilschwungrad in der Weberei Hueb ob Wald ragte nach dem Unwetter gerade noch 30 Zentimeter heraus. Auch rund um die Maschinenfabrik Rüti war die Verwüstung gross. Die Wassermassen hatten Betonmauern und Metallgitter zerstört. Hugo Honegger, der das Hochwasser als Mechanikerlehrling in der Maschinenfabrik erlebt hatte, erinnert sich auf der DVD: «Das Wasser floss durch die Giesserei und hat alles überschwemmt.» Arthur Honegger, damals Sekundarschüler, half mit Klassenkameraden beim Trocknen der Maschinenzeichnungen. Mit Schwämmen wischten die Buben den Dreck vorsichtig weg und hängten die Zeichnungen anschliessend an einer Wäscheleine zum Trocknen auf. Mitten im Dorf Rüti waren die Strassen aufgerissen, jene nach Tann unterbrochen. Der Schaden betrug 18 Millionen Franken - eine unermessliche Summe in der damaligen Zeit. Zwei Männer verloren ihr Leben in den Fluten. Der junge Mechaniker Hans Isler stand in Wernetshausen auf einem Steg am Weissenbach und wurde vom Wasser mitgerissen. Der Maler Franz Romer stürzte bei den Aufräumarbeiten in Rüti in die Jona. Beide ertranken.

 

Hochrangige Politiker reisten ins Katastrophengebiet, um den Leuten moralisch beizustehen. Eine Woche später brach Krieg aus Doch es sollte noch schlimmer kommen. Vier Tage nach dem Unwetter, am 29. August 1939, wurde der Grenzschutz aufgeboten, am 2. September war Generalmobilmachung. Am Vortag war die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschiert; das Datum markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs. In den Dörfern Rüti, Wald, Dürnten und Bubikon fehlten damit die dringend gebrauchten Hilfskräfte für die Aufräumarbeiten. Auch Pferde und Motorfahrzeuge waren eingezogen worden. Die Solidarität mit dem Zürcher Oberland war jedoch gross. Aus der ganzen Schweiz trafen Spenden ein und die Zürcher Kantonsräte verzichteten zugunsten der Angehörigen der beiden Todesopfer auf ihr Taggeld.

 

Am 4. September stattete General Henri Guisan Rüti einen überraschenden Besuch ab. Jedoch nicht wegen des Unwetters, sondern weil er sich ein Bild über die hier einquartierten Truppen machen wollte. Diese standen unter dem Kommando von Oberstkorpskommandant Rudolf Miescher. Das ganze Dorf versammelte sich am Löwenplatz und sang spontan die Nationalhymne für den obersten Schweizer Heerführer. Die Dorfeinwohner waren mehrere Wochen damit beschäftigt, die Schäden zu beheben. Im Tannertobel beispielsweise war aus einer Wiese eine Steinwüste geworden, die gesäubert werden musste. «Obwohl der Bevölkerung nach der Weltwirtschaftskrise, der grossen Schuldenlast und der Angst vor dem Krieg Sorge kein Fremdwort war, überschattete das Unwetter alles davor Gewesene», steht im Rütner Geschichtsbuch.


Das Hochwasser vermochte die Generalmobilmachung nicht aufzuhalten.»

Quellen des Artikels: «Gestatten, Rüti» und die dazugehörige DVD, erhältlich am Online-Schalter der Gemeinde Rüti. www.rueti.ch

 

Nicht erwähnt ist im obigen Artikel der Bachtenspalt im Gebiet Unterbachtel, der übereinstimmenden Quellen zufolge ebenfalls am 25. August 1939 durch das Unwetter entstanden ist. Die rund 50 Meter lange und 10 Meter tiefe Erdspalte im Nagelfluh kann auch heute noch von schmalen Personen durchwandert werden, doch das wird nicht immer so bleiben. Messungen haben ergeben, dass sich der Spalt langsam, aber stetig schliesst.

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